Aufklärung: Unterstellung jeglichen Urteils unter das Prinzip (»den Richterstuhl«) der Vernunft (egal ob über Sachaussagen oder normative Forderungen). – Als historische Bewegung stößt die ~ sofort nicht nur mit dem staatlich schutzlosen Aberglauben zusammen, sondern auch mit der – in ihrem Wirkungsbereich überall – staatlich geschützten bzw. privilegierten Religion, da diese beiden, Aberglaube wie Religion, die Vernunft als zugleich höchste wie einzige Urteilsinstanz ablehnen. Hauptsächliche Entfaltungszeit der ~ war das 18. Jahrhundert, geographisches Zentrum Frankreich. Dementsprechend waren sowohl ihre wichtigsten wie auch ihre konsequentesten Vertreter Franzosen: Meslier, d'Holbach, Voltaire, de la Mettrie, Diderot, Helvétius und, mit dem Schwerpunkt der Monarchiekritik, jedoch weitgehend ausgesparter Religionskritik, Rousseau. Mit Ausnahme Mesliers, der als Pionier der ~ aus chronologischen Gründen dazu nicht in der Lage war, waren praktisch alle Aufklärer Frankreichs arbeitsteilig an der von d'Alembert herausgegebenen »Enzyklopädie« beteiligt; sie werden daher auch als »Enzyklopädisten« bezeichnet. Andere bedeutende Aufklärer waren die Engländer Hume, Bacon und Shaftesbury sowie der in den Niederlanden lebende Spinoza; daß sonstige Länder nur ziemlich unbedeutende und vor allem inkonsequente Vertreter der ~ hervorbrachten, lag an der Schwäche des örtlichen Bürgertums gegenüber den fortbestehenden, nur oberflächlich absolutistisch überformten Kräften des Feudalismus. Denn dieses Bürgertum bot der ~ sowohl die soziale Grundlage wie auch den gesellschaftlichen Schutz, den sie benötigte – diesen bot es natürlich mehr in Frankreich, wo es aufgrund seiner fortbestehenden fiskalischen Benachteiligung zum grundbesitzenden und fiskalisch privilegierten Adel in scharfer Opposition stand, als in England, wo es mit ihm verschmolzen und steuerlich normalerweise gleichgestellt war.
     Da die ~ der Wissenschaft und dadurch der wirtschaftlichen und in der Folge auch militärischen Erstarkung ihrer Umgebung förderlich ist, fand sie auch bei zahlreichen Monarchen insbesondere armer und wirtschaftlich ins zweite Glied gebannter Länder Anklang (»aufgeklärter Absolutismus«). Der berühmteste davon war zweifellos Friedrich II. (»der Große«) von Preußen, welcher zeitweise mit dem Aufklärer Voltaire befreundet war, recht ähnlich wie die Zarin Katharina II. (»die Große«) mit Diderot. Da sich die Erblichkeit von Staatsämtern und Privilegien freilich vor dem »Richterstuhl der Vernunft« schlecht ausnimmt, mußte das Verhältnis des »aufgeklärten Absolutismus« zur ~ immer widersprüchlich (»ambivalent«) bleiben.
     Die ~ hätte ohne die Vorarbeit des Calvinismus (und zuvor des Nominalismus), den sie auf der Basis seiner eigenen Prämissen über sich hinaustreibt, wohl weniger leicht entstehen können; auf jeden Fall entnimmt sie ihm wichtige Teile ihrer Argumentation und Terminologie. Umgekehrt beansprucht der Marxismus, ihre geradlinige Fortsetzung zu sein, während der Faschismus sowohl ihr wie diesem mit offenem Haß und artikulierter Ablehnung gegenübersteht, wodurch er in die Nähe der Religion rückt und zu ihrem historischen Bündnispartner wird (Hitlerkonkordat, Vatikanstaat, Franco).
     Eine antike Analogie zur ~ war die (sog. erste) Sophistik. Ihre hauptsächlich in den Städten der griechischen Ostküste, vor allem Athen, tätigen Vertreter wie Protagoras, Anaxagoras und Antisthenes legten nicht nur viele Fundamente der späteren Wissenschaft (die dann mit dem Niedergang der griechischen Demokratien von den Idealisten wie Plato und – gemäßigt – Aristoteles überschattet und darum nur fragmentarisch überliefert wurden), sondern bereiteten vor allem das Werk Epikurs vor, dessen entscheidende Inhalte von dem römischen Dichter T. Lucretius Carus bewahrt wurden und den überwiegenden gedanklichen wie terminologischen Grundstock der späteren europäischen ~ bilden.


 
Ahrimans VolksEnzyklopädie
© By courtesy of Ahriman