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Christ
Christentum
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Christentum: (von gr. christo (gr.) [»der Gesalbte«, Lehnübs. von hebr. gesalbte (heb.)]): jüdisch-hellenistische Mischreligion, entstanden im 1. Jhd. d. Ztr. – Das ~ erkennt als seine verbindlichen Grundlagen sowohl die Bibel (d.h. die hebr. Bibel mit einigen von der zeitgenössischen jüd. Mehrheit anerkannten griech. Zusätzen) wie auch ein Corpus eigener Schriften (»Neues Testament«) an, dessen älteste Teile die organisatorisch-ideologischen Schriften seines Gründers Paulus (»Briefe« an verschiedene Ortsgruppen) und einige verwandte Dokumente bilden; dazu kommen Legendensammlungen über Leben und Lehre seines angeblichen Gründers Jesus (»Evangelien«) und dessen frühe Anhänger, hauptsächlich wieder Paulus (»Apostelgeschichte«), sowie eine ausführliche Schilderung des alsbald eintretenden Weltendes, welche einem gewissen Johannes von Patmos zugeschrieben wird, der nach innerchristlich weitverbreiteter, aber nicht verbindlicher Auffassung mit einem namensgleichen, in den Legendensammlungen erwähnten persönlichen Anhänger Jesu identisch gewesen sein soll. Die Heterogenität des im ~ vereinigten mythologisch-ideologischen Materials erzeugt erhebliche innere Spannungen; denn der aus biblischer Sicht wesentliche Inhalt des »Neuen Testaments« (=NT) besteht darin, die verbindlichen Anweisungen der Bibel (in christlichem Sprachgebrauch »Altes Testament« = AT) für ungültig zu erklären (drastisch in der sog. »Turmvision des Petrus«, Apg. 10,9-23). Der Grund dafür liegt natürlich darin, daß ihre Beibehaltung ein schweres Ausbreitungshindernis gewesen wäre. Das Verhältnis des ~s zum Judentum wird daher vom ersten Augenblick an, wo von einem selbständigen und seiner selbst bewußten ~ geredet werden kann, hauptsächlich negativ und praktisch feindselig.
     Kern der christlichen Vorstellungen bildet die Umphantasierung der (politisch motivierten) Hinrichtung eines gegen die römische Besatzung kämpfenden und sich dabei offenbar als Messias ausgebenden jüdischen Nationalisten mit Namen (oder Pseudonym) Jesus in einen von diesem selbst provozierten Ritualmord (»Menschenopfer«), welcher von den Akteuren ohne Kenntnis von dessen Bedeutung (»Sie wissen nicht, was sie tun«) durchgeführt wurde, aber die einzige Möglichkeit zur Tilgung des metaphysischen Schuldkontos der Menschheit darstellte (»Erlösung von der Erbsünde«; in ausschließlich diesem Sinne bezeichnen die Christen ihren angeblichen übernatürlichen Gründer auch als »Erlöser« [Erlöser (gr.)] bzw. »Heiland«). Dabei wird die Menschheit allerdings nach Ausweis der oben vorgeführten »kanonischen« Schriften ausschließlich durch die gerade lebenden Anhänger dieser Ansicht vertreten (sofern sie entweder zu Lebzeiten des mythischen Gründers sich als solche bekannten oder aber später dasselbe nach Absolvierung bestimmter, vom Judentum übernommener und mit fließendem Wasser verbundener Rituale taten); da diese Aussage in ihrer Eindeutigkeit die spätere Ausbreitung freilich auch behindert hätte, wurde sie bald möglichst unklar gehalten und außerdem durch den »Höllenfahrtsmythos« entschärft, welcher zwar der älteren christlichen Mythologie naheliegenderweise fehlt (somit auch allen kanonischen Schriften), aber Bestandteil aller verbindlich formulierten christlichen Glaubensbekenntnisse wurde.
     Eine derartige metaphysische Konstruktion (welche in ihren Grundzügen von den zeitgenössischen, schon länger elaborierten Dionysos-Mysterien übernommen wurde), kann nur auf der Basis der indischen Karma- oder der altgriechischen -Theorie funktionieren (d.h. einer empfindlichen Einschränkung der göttlichen Allmacht durch eine vorwiegend quantitativ bestimmte Kausalmechanik), denn in jedem anderen Fall wäre das ganze metaphysische Theater (die Kernszene stammt offensichtlich aus dem dionysischen Kulttheater) bzw. »göttliche Tragödie« durch einen einfachen Amnestieakt des in seinen Willensäußerungen durch nichts beschränkten biblischen Jahwe problemlos vermeidbar gewesen; dieses zuzugeben, hätte das ~ aber seines biblischen (und daher dem strikten Allmachtsdogma verpflichteten) Anspruches beraubt. Da es diesen aber benötigte, um seiner freilich dionysisch umfunktionierten Messiaskonstruktion Glanz und Tiefe zu verleihen, mußte es sich schon deshalb seit Gründung gegen die Juden, d.h. die Wahrer der authentischen biblischen Konstruktionen, Traditionen und Ansprüche, ausweichend und aggressiv verhalten. Das ~ hat dementsprechend die biblischen Aussagen in äußerst willkürlicher und gewaltsamer Weise verbogen (»Präfiguration« u.a.), um sie auf seinen mythischen Gründer beziehen zu können (obwohl dieser nicht einmal das eindeutigste und fundamentale biblische Messiaskriterium erfüllte, nämlich die Befreiung des auserwählten Volkes von der Fremdherrschaft, welcher sich die Sicherheit aller nationalen Grenzen und somit sehr unmetaphorisch das Ende aller Kriege anschließen sollte).
     Den Schlüssel zum Verständnis des ~s enthält offenbar der hellenistische Dionysoskult (von dem es auch seinen Zentralritus, die Verwandlung von Wein in das Blut des mythischen Stifters und seine anschließende gemeinsame Konsumption [»Kommunion«], übernommen hat, obwohl es diesen Ritus in der für es typischen Weise an die ganz magiefreie jüdische Kidduschzeremonie anzuknüpfen sucht, und zwar die vor Ostern vollzogene, d.h. das biblisch begründete Fest der rituellen Lammschlachtung, ursprünglich und zeitgenössisch immer noch zugleich das Fest aller vorderorientalischen »sterbenden und wiederauferstehenden Götter«, wobei das lammförmige Tieropfer [hostia] dem Menschenopfer [von Jesus ebenso wie Dionysos, dieser allerdings als das zerrissene statt geschlachtete, nahe verwandte Zicklein] gleichgesetzt wird; der Isaak-Mythos konnte leicht zur Untermauerung hinzugezogen werden, doch fehlt ihm das dionysostypische Infantilisierungselement [Widder statt Lamm bzw. Zicklein]). Damit soll der eklektische Charakter des ~s nicht verleugnet werden – es übernimmt Versatzstücke sehr vieler Religionen, sogar des geographisch damals weit entfernten Buddhismus (Versuchung Jesu nach vierzigtägigem Fasten; Wandeln auf dem Wasser mit Rettung des Lieblingsjüngers) –, aber nur die dionysische Grundlage verspricht wirkliche Einsicht in die komplizierte Konstruktion (unbeschadet der auch sehr wirksamen zoroastrischen Einflüsse, die vor allem Teufel und Weltuntergang – nicht »Endzeit« an sich – hereinbrachten). Das erste christliche Glaubensbekenntnis hat diese Substanz – umfunktioniertes Spätjudentum und substantiell beibehaltene Dionysosmystik – unnachahmlich präzise als Anagramm komprimiert: =   d.h. »Jesus ist der Messias, der Sohn Gottes, der Erlöser.« Letzterer ist Dionysos, der, besonders in den ptolemäischen Königstitulaturen, die noch sehr präsent waren, immer diesen Titel führt (die Ptolemäer bezeichneten sich oft als »Neuer Dionysos«); der mit Bedacht gräzisierte »Messias« ist zwar biblisch, der »Sohn Gottes« hat aber die Metamorphose vom jüdisch-metaphorischen »Befolger des Gesetzes« zum hellenistisch-konkreten »übernatürlich Gezeugten« [des Lukasevangeliums und ungezählter griechischer Sagen] längst mitgemacht und steht dadurch zweideutig in der Mitte. Das liefert aber noch nicht den Schlüssel zum gesamten Vorstellungskomplex; dieser muß in der zeitgenössischen Signifikanz der jeweils zentralen Schlagworte gesucht werden.
     Während der »Gesalbte« (erg. jüd. König) für jeden erkennbar die Wiedererlangung der (an Babylonier, in gewisser Weise auch Perser, danach Seleukiden und aktuell vor allem Römer) verlorenen nationalen Souveränität repräsentiert (die wegen der damit ermöglichten Unterdrückung »heidnischer Greuel« sowie vagen Gedanken einer »Mission durch Vorbild« auch ein religiöses Anliegen bleibt), war Dionysos als staatlich durchrationalisierter Mysteriengott immer Kultausdruck der Akzeptanz ihres Verlustes (an Römer wie Diadochen, in Mauretanien und Karthago wie in Ägypten, Syrien u.ä.). Er leistet das, weil für ihn als primärer »Gott des Rausches«, welcher (als ) von den »Fesseln der Welt«, d.h. der Realität, »(er)löst«, sein Reich sozusagen organisch »nicht von dieser Welt ist« (wohl aber der Innenwelt mit ihren irrationalen Schuldgefühlen, Ängsten und grausamen – cf. den ikonographisch unverzichtbaren Panther, den das ~ nicht übernimmt – Phantasien). In diesem Rahmen ist auch die dionysostypische »geschichtslose« Bukolik angesiedelt, welche im ~ (und Mithraskult) ebenfalls einen, wenngleich verringerten, Platz hat, wobei das ~ zusätzlich an den »harten Kern« des sozialen Substrats der biblischen Propheten anknüpfen konnte. (In allen drei genannten Religionen begrüßen Hirten die Geburt des Helden; weitere Hirtenmotive kommen hinzu.) Der Verlust der staatlichen Freiheit erscheint durch diese »höhere Wirklichkeit«, d.h. forcierte Illusion, weniger drückend. Was das ~ leistet und wohl entscheidend zu seinem Erfolg beigetragen hat, ist die dionysische Umfunktionierung der Messiaskonstruktion in ihr tendenzielles Gegenteil, wodurch es als Herrschaftsmittel bis heute unnachahmlich brauchbar, ja lange Zeit (bis zum Fernsehen) fast unersetzlich blieb; auch heute leistet es in diesem Sinne wertvolle Dienste, und seine ungezählten, seit 1933 und besonders 1990 stets wachsenden Sonderrechte und Vergünstigungen erklären sich aus dieser Quelle.

Aus der ungeheuren Fülle der Literatur empfiehlt AHRIMAN zur Vertiefung insbesondere: Hyam Maccoby, Der Mythenschmied – Paulus und die Erfindung des Christentums (Ahriman Verlag, 2007), Hyam Maccoby, Der heilige Henker (Thorbecke) – nur antiquarisch erhältlich. Zur Geschichte (statt nur zu Substanz und Entstehung) bleibt Karlheinz Deschners »Kriminalgeschichte des Christentums« unersetzlich. S.a. Kirche, Jesus, Christ.


 
 
 

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